Header und Logo

2021

Ausstellung im Detmolder Rathaus: „Bruno Wittenstein – Lippische Impressionen“

Im Jahr 2022 laden Herr Teiwes und Frau Dr. Sunderbrink zu einer Präsenzveranstaltung im Rathaus ein. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.

Ausstellung im Rathaus vom 7.12.2021 bis 25.2.2022

Bruno Wittenstein war der Portraitmaler in Lippe, ein Schüler Franz von Lenbachs, Mitbegründer des Lippischen Künstlerbundes und als Persönlichkeit weit über Lippe hinaus bekannt. Mit seinen künstlerischen Fähigkeiten hätte er es in den deutschen Kulturmetropolen Berlin, Düsseldorf oder München weit bringen können. Doch er entschied sich, in Lippe-Detmold zu bleiben, um mit den hiesigen Malern die bildende Kunst in Lippe zu etablieren.

Bruno Wittenstein war 1876 in Hamm geboren, studierte Kunst an den renommierten Akademien in Berlin und München und kam 1904 nach Detmold. Er war geprägt durch die Anfänge der Secession, der Abspaltung, die in Deutschland in München begann. Die Maler der Secession orientierten sich an den französischen Impressionisten und wollten sich von den bis dahin vorherrschenden Kunstidealen befreien. So malte auch Wittenstein gerne interessante Menschen aus einfachen Schichten oder Motive in der freien Natur. Er war ein Meister der Farben und sicher im Pinselstrich.

Die Ausstellung „Bruno Wittenstein – Lippische Impressionen“ ist eine Zusammenarbeit der Stadt Detmold mit den Autoren Hubert Fricke und Stephan Teiwes, die im Juli 2021 eine Biografie über den Maler Wittenstein veröffentlich haben. Die Idee zur Ausstellung entstand als Stephan Teiwes während einer Recherche im Detmolder Stadtarchiv gemeinsam mit der Archivleiterin Dr. Bärbel Sunderbrink über ein Portrait des Detmolder Oberbürgermeisters Dr. Emil Peters diskutierte. Peters hatte sich in den 1930er Jahren mutig den Nationalsozialisten widersetzt. Das Gemälde schien in Vergessenheit geraten, ebenso wie sein Erschaffer. Durch die Recherchen der Autoren, mit tatkräftiger Unterstützung durch den Heimatverein Heiligenkirchen, sind zahlreiche Gemälde von Wittenstein wiederentdeckt worden. Das begeisterte den Detmolder Bürgermeister Frank Hilker und seine erste Stellvertreterin Christ-Dore Richter, die beide sofort ihre Unterstützung zusagten und nun erstmals eine Auswahl dieser Gemälde der Öffentlichkeit im Detmolder Rathaus präsentieren.

Die Ausstellung zeigt Portraits bekannter Detmolder Künstler und Oberbürgermeister sowie charaktervoller Menschen aus dem einfachen Leben, wie der Kupferschmid oder die Bäuerin. Die Ausstellung geht dann über zu Impressionen aus dem historischen Detmold vor etwa 100 Jahren. Lippe bietet für Maler eine Vielfalt interessanter Motive auf engem Raum. So zog es Bruno Wittenstein an romantische Orte der Region und in die freie Natur, um dort zu malen. So zeigt Ausstellung Motive aus Heiligenkirchen, Oerlinghausen oder der Malerstadt Schwalenberg. Bruno Wittenstein hatte sich immer wieder intensiv mit dem Thema Natur auseinandergesetzt und dabei ergründet, wie Natur funktioniert und welche Farben sie hervorbringt. Seine Gemälde vom Donoper Teich zeigen Variationen einer ursprünglichen und lebendigen Natur mit urigen Bäumen. Bruno Wittensteins zum Teil großformatige Gemälde im Original zu betrachten ist ein Genuss, den BesucherInnen ab dem 7. Dezember 2021 im Rathaus Detmold erleben werden.

Buch zur Ausstellung: treffpunkt-teiwes.de/bruno-wittenstein-das-buch

Neben der physischen Ausstellung gibt es auch eine Ausstellung Wittenstein Digital. So können auch Menschen über Detmold/Lippe hinaus die Ausstellung besuchen. Man findet hier Interessantes zu Maler, Bilder, Making-of und das Buch zur Ausstellung: treffpunkt-teiwes.de/bruno-wittenstein-ausstellung/

Rosenland 26/2021

"Rosenland - Zeitschrift für lippische Geschichte Lippe", das Land der Rose, die sich auch im Wappen des Landes Nordrhein-Westfalen findet. "Rosenland" will dem Rechnung tragen, zugleich aber auch vielen Historikern ein Forum bieten und damit zu einer weiteren Belebung der "Geschichtsszene" beitragen.

Themen Rosenland 26/2021

  • Das Oerlinghauser Amthaus - ein Hauptwerk Ferdinand Brunes (Joachim Kleinmanns)
  • Der Rathenau-Mord, die Studierenden der Detmolder Hochschule und das schwierige Bekenntnis zur Republik (Carsten Doerfert)
  • Gebrochene Jugend, gebrochenes Leben. Der Leidensweg des Holocaust-Überlebenden Günter Wallhausen aus Schötmar (Jürgen Hartmann)

Die aktuelle Ausgabe "Rosenland 26/2021" gibt es hier als PDF zum Download (3,0 MB).

 

 

 

„Abgemeldet in den Osten“- Zum 80. Jahrestag der Deportation von jüdischen Menschen aus Detmold nach Riga am 13. Dezember 1941

Vom Bielefelder Hauptbahnhof wurden die Menschen am 13. Dezember 1941
nach Riga deportiert. (Quelle: Stadtarchiv Bielefeld)


von Gudrun Mitschke-Buchholz

Als Detmolder Jüdinnen und Juden spätestens am 20. November 1941 von ihrer bevorstehenden „Umsiedlung“ durch ein Rundschreiben der Reichsvereinigung der Juden, Bezirksstelle Bielefeld, in Kenntnis gesetzt wurden, glaubten viele von ihnen an einen Arbeitseinsatz im Osten. Denn in dem Deportationsbescheid fand sich eine detaillierte Auflistung des erlaubten Gepäcks von 50 kg, in dem neben Koffer, Bettzeug und Essgeschirr sowie Verpflegung für drei Tage auch die Mitnahme von Werkzeug  gestattet war. Untersagt waren hingegen Wertsachen jeder Art und auch Messer und Rasierzeug, um Gegenwehr und Freitode zu verhindern.


Die Reichsvereinigung hatte zwangsweise die Vorgaben für Lippe an ihr Detmolder Büro, das von Eduard Kauders und Moritz Herzberg geleitet wurde, weitergegeben. Beide Männer waren bereits in Buchenwald in Haft gewesen, und so ist davon auszugehen, dass sie mit ihren dortigen Erfahrungen nur schwer an eine reine Evakuierungsaktion glauben konnten. In panischer Hektik stellten die Betroffenen alles an Materialien  zusammen, von dem sie meinten, es in einem wie immer gearteten Arbeitsalltag gebrauchen zu können. Auch die für Ende November noch angesetzten Impftermine verstärkten den Anschein einer Umsiedlung.


Das Detmolder Büro der Reichsvereinigung sorgte „auf eigene Kosten“ für einen LKW, der die Jüdinnen und Juden am 10. Dezember 1941 nach Bielefeld brachte, wo sie drei Tage lang in katastrophalen Umstände im früheren Saal der Gastwirtschaft „Kyffäuser“ am Kesselbrink auf Stroh ausharren mussten. Dort wurden ihnen letzte Wertgegenstände wie Eheringe und auch die Pässe abgenommen. Die Vergabe von Nummern führte den Betroffenen das Ziel dieser Maßnahme vor Augen: „Jetzt sind wir nichts mehr… jetzt existieren wir nicht mehr,“ schilderte 1993 Edith Brandon, geb. Blau aus Minden in einem der wenigen Interviews von Riga-Überlebenden diese Situation.  
Am 13. Dezember 1941 wurden die Menschen mit Autobussen zunächst zum Bielefelder Hauptbahnhof geschafft und von dort in Personenwagen dritter Klasse nach Riga transportiert. Für die Fahrtkosten mussten sie selbst aufkommen. Die mehr als 1.000 Jüdinnen und Juden des Transportes kamen aus über einhundert Orten im Einzugsbereich der Gestapoleitstelle Münster. Aus diesem Transport sind nur 102 Überlebende bekannt. Manche überstanden den Transport, auf dem ihnen alsbald das Wasser entzogen wurden, nicht.


Als der Zug am 15. Dezember 1941 in eisiger Kälte an der Rampe der Frachtgutstation Skirotava in Riga ankam, mussten die Deportierten im verschlossenen Zug noch einen Tag ausharren, bis sie mit Peitschenhieben von SS-Leuten aus dem Zug getrieben wurden. Ihr mühselig zusammengestelltes Gepäck sahen sie nicht wieder. Den langen Fußmarsch durch tiefen Schnee zum Rigaer Ghetto überlebten wiederum manche nicht: Kranke und Alte wurden erschossen. Misshandlungen waren allgegenwärtig. Im Ghetto selbst lag das, was als „letzte Habseligkeiten“ bezeichnet wird, neben vereisten Blutlachen im Schnee. Die völlig erschöpfen und schockierten Menschen wurden in den heruntergekommenen Häusern eingewiesen. Die Straßen waren nach dem jeweiligen Ausgangspunkt der Deportation benannt war, und so wurden auch die Detmolder Deportierten in der Bielefelder Straße in großer Enge untergebracht. Dort fanden sie zum Teil noch das gefrorene Essen der lettischen Juden vor, die wenige Tage zuvor ermordet worden waren: „Die sind weg – für uns… Wenn kein Platz mehr ist, werden wir so abgemetzelt“, so wiederum Edith Brandon in ihrem Bericht. Dennoch mussten sich die Menschen in dieser gegenmenschlichen Situation mit diesem Wissen einrichten: „Dann hat man überlebt … um zu überleben“ hieß Edith Brandons bittere Bilanz.


Für viele Deportierte bedeutete das Ghetto in Riga das Ende. Für andere war es nur eine Station ihres Leidensweges. Als das Ghetto 1944 aufgelöst wurde, wurden die letzten Überlebenden in Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt. Edith Brandon wurde mit ihrer Mutter nach Stutthof geschafft.
 Diese erste Deportation aus Lippe jährt sich in diesem Jahr zum 80. Mal. An die mehr als dreißig Betroffenen, die mit Detmold in Verbindung standen, wird im Detmolder Gedenkbuch gedacht. Keiner von ihnen überlebte.

Am 10.  September 2020 fasste der Rat Stadt Detmold einstimmig den Beschluss dem Deutschen Riga-Komitee beizutreten, das im Jahr 2000 u.a. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gegründet wurde. Diesem erinnerungskulturellen Städtebund gehören 64 Städte aus ganz Deutschland an.

 Das vollständige Interview, das Joachim Meynert mit Edith Brandon führte, wird im LAV NRW Abt. OWL verwahrt. Einen Ausschnitt sowohl als Hörfassung als auch in Textform findet sich in „Die letzten Augenzeugen zu hören…“ von Joachim Meynert und Gudrun Mitschke. Bielefeld 1998. Edith Brandons hinterlassene Dokumente sind im United States Holocaust Memorial Museum auch digital einsehbar.

 

 

Einweihung der Gedenktafel an Felix Fechenbach und seine Familie in Detmold

Am ehemaligen Wohnhaus der Familie Fechenbach an der Oesterhausstraße hängt jetzt diese Gedenktafel.

Der jüdische Journalist und Sozialist Felix Fechenbach lebte mit seiner Frau Irma und seinen drei Kindern von 1931-1933 in der Detmolder Oesterhausstraße. In Anwesenheit seiner Enkel Kathie und Balz Wiederkehr wurde jetzt eine Gedenktafel auf Initiative der heutigen Eigentümer an dem ehemaligen Wohnhaus der Familie eingeweiht.

Die Rede von Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink zur Einweihung:

Liebe Familie Wiederkehr, lieber Landtagsabgeordneter Dr. Maelzer, liebe Mitglieder der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit, sehr geehrte Damen und Herren,
die Gedenktafel, die heute enthüllt wird, erinnert an zwei Menschen, die sich mutig dem NS-Regime widersetzt haben, und ihre drei Kinder.

Felix Fechenbach war das erste Todesopfer des nationalsozialistischen Terrors in Lippe. Er wurde am 7. August 1933 ermordet. Seine Frau Irma Fechenbach geb. Epstein und ihre drei Kinder Kurt, Lotte und Hanni konnten ihr Leben nur durch die Flucht aus Deutschland retten.
Auch wenn ein Stolperstein für Felix Fechenbach nicht in Detmold, sondern in Würzburg verlegt worden ist, so ist dieses Haus an der Oesterhausstraße doch als der letzte freiwillig gewählte Wohnsitz in Deutschland zu betrachten. (Nach den Kriterien für das Kunstprojekt Stolpersteine wäre also hier eigentlich der Ort gewesen, wo man Fechenbach hätte gedenken können. Nun geschieht es auf andere – sehr angemessene Weise.)
Fechenbachs haben das Haus zum 1. September 1931 bezogen, und sie erlebten hier vielleicht ihre glücklichste gemeinsame Zeit. Endlich war eine Wohnung gefunden, die alle zufriedenstellte, die ausreichend Wohnraum hatte, ein Bad, einen Garten.

Doch fangen wir von vorne an: Kennengelernt hatten sich Felix und Irma in Berlin. Geboren und aufgewachsen waren allerdings beide in Bayern: Irma geb. Epstein war Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Augsburg, Fechenbach kam als Sohn eines Bäckers in Mergentheim zur Welt und wuchs in Würzburg auf.
Felix Fechenbach hatte schon mit 23 Jahren eine bedeutende Rolle in der Revolution in München gespielt und dann als Referent des linkssozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner dessen politisches Scheitern und Ermordung miterleben müssen. Fechenbachs spätere Verurteilung vor dem Münchener Volksgericht wegen Landesverrats hatte einen reichsweiten Justizskandal ausgelöst. Eine unrühmliche Rolle spielte in den Prozessen seine erste Ehefrau, die ihn denuziert haben soll.
Irma war nach dem Abschluss der Höheren Schule von ihren Eltern standesgemäß in ein britisches Pensionat geschickt worden, hatte aber auch eine Lehre als Krankenschwester absolviert. Schließlich machte sie noch eine Ausbildung als Fürsorgerin. Sie sorgte mit ihrer unabhängigen Lebensart und ihrer weit linken politischen Haltung im großbürgerlichen Elternhaus für manche Irritation.
In Berlin war Irma als Sozialarbeiterin tätig und engagierte sich ehrenamtlich für die sozialistischen Kinderfreunde. Felix war nach seiner Haftentlassung 1923 ebenfalls nach Berlin gekommen und war bei dem rennommierten sozialdemokratischen Dietz-Verlag beschäftigt.

Irma und Felix bewegten sich also beide im Kreis sozialistischer Interlektueller, als sie sich begegneten. Ihre Beziehung war dadurch sehr geprägt. Nach der von Ingrid Schäfer erarbeiteten Biografie führten sie eine Kammeradschaftsbeziehung auf Augenhöhe. Gleichberechtigung war für beide wichtig. Sie heirateten 1926, als sich ihr erstes Kind ankündigte. Irma gab ihren Beruf erst mit dem Umzug nach Detmold auf.
Felix Fechenbach übernahm in Detmold die Redaktion des sozialdemokratischen Volksblatts. Irma widmete sich nun ganz der Familie. Der 1927 geborene Kurt und die 1928 geborene Lotte bekamen Anfang 1931 mit Hannelore in Detmold noch ein Geschwisterkind. Irma mochte die Umgebung des Teutoburger Waldes. Sie ließ das Wohl von Kindern nicht aus dem Blick und erfreute mit ihren besonderen Fähigkeiten des Puppenspiels.
Felix Fechenbachs Netzwerk entwickelte sich rasch. Er war ein kritischer Journalist, der vor allem mit seiner bissigen Kolumne „Nazi-Jüsken“ die Nationalsozialisten scharf angriff. Wegen seiner Berichterstattung, aber auch wegen seiner jüdischen Herkunft zog er den Hass der lippischen Nationalsozialisten auf sich. Seine Rolle in der Revolution und seine Versuche international über die Kriegsschuld der Deutschen aufzuklären, brachten ihm den größten Hass der rechter Kreise ein.

In der Nacht, als in Berlin am 27. Februar 1933 der Reichstag brannte, wurde Felix Fechenbach gewarnt: Er stehe auf einer schwarzen Liste und eine Hausdurchsuchung sei geplant. Sofort packte Irma für sich und die Kinder die Koffer und flüchtete zunächst nach Augsburg zur Mutter, wenig später dann in die Schweiz.
Felix Fechenbach wollte der Gewalt der Nationalsozialsten nicht weichen. Er wurde wenig später, am 11. März, in sogenannte Schutzhaft genommen. Während andere Regimegegner nach und nach wieder frei kamen, wollte man Fechenbach nach Bayern überstellen – dorthin, wo er einst mutig für die Revolution eingetreten war.
Seine Mörder waren SA- und SS-Männer aus Detmold, die ihn auf dem Weg ins KZ-Dachau bewachen sollten. Jenseits der lippischen Grenze, im Kleinenberger Wald, misshandelten sie ihn erbärmlich und erschossen ihn aus nächster Nähe.

Für die Stadt Detmold ist Felix Fechenbach bis heute eine wichtige Persönlichkeit. Er steht für demokratische Werte, für kritischen Journalismus, für ungeheuren Mut. Aber auch seine Frau Irma ist ein Teil der Detmolder Erinnerungskultur. Sie war weit mehr als eine gleichberechtigte Partnerin, auch sie setzte sich für eine sozial gerechtere Welt vor allem für Kinder ein, auch sie stand für ihre politischen Überzeugungen ein.
Felix Fechenbach ist ermordet, Irma Fechenbach ist aus Deutschland geflohen. Aber sie sind Teil unserer Erinnerungskultur geworden.

Unterstützt wurde das Projekt von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe e.V., der Felix-Fechenbach-Stiftung und der Stadt Detmold.

Gedenkveranstaltung 9. November

Die Gedenkfeier fand erstmals an der Lortzingstraße statt. Foto: Stadt Detmold

Die zentrale Gedenkfeier der Stadt Detmold war in diesem Jahr erstmals in der Lortzingstraße, direkt vor dem einstigen Standort der Synagoge. Etwa 200 Menschen waren hier zusammengekommen und hörten unter anderem die Detmolder Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink, die einen Blick auf 300 vorangegangenen Jahre jüdischer Kultur in Detmold war und schließlich die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 rekapitulierte.

Hier ihre Rede im Wortlaut:

Liebe Familie Wiederkehr, liebe Frau Herzberg, sehr geehrte Damen und Herren!
Als 1794 ein Junge namens Jomtob Lipman in Detmold zur Welt kam, konnte niemand erahnen, dass einer der wichtigsten jüdischen Gelehrten der Moderne das Licht der Welt erblickt hatte. Der als Leopold Zunz bekannte Gelehrte, der mit seinen Eltern schon kurz nach der Geburt die Stadt verließ, gilt als der Begründer der „Wissenschaft des Judentums“. Er war es, der die Erforschung der jüdischen Kultur, Geschichte und Religion nach wissenschaftlichen Methoden etablierte. Er war aber nicht nur Gelehrter, er war ebenfalls ein Kämpfer für die freiheitlichen Ziele der Revolution von 1848. Er stand für die Integration der jüdischen Bevölkerung und wollte jeglicher Ausgrenzung ein Ende setzen. Seit der Epoche der Aufklärung, seit der Erklärung der Menschenrechte, setzten sich jüdische und nichtjüdische Menschen überall in Europa für die rechtliche Gleichstellung ein. In Deutschland sollte es allerdings bis zur Reichsgründung von 1871 dauern, ehe dies auch umgesetzt wurde.

Jüdisches Leben hat auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands aber eine viel längere Tradition: Vor genau 1700 Jahren gestand der römische Kaiser Konstatin in einem Dekret kölnischen Juden besondere Rechte zu. Dies ist der älteste Beleg für die Existenz jüdischer Gemeinden in Deutschland. Zahlreiche Veranstaltungen begleiten dieses Jubiläum. In Detmold dürfen wir dazu Angehörige der Familie Fechenbach begrüßen!
In Lippe und Detmold begann jüdisches Leben sehr viel später als im Rheinland. Die spätmittelalterlichen Quellen zeugen davon, wie sehr die wenigen jüdischen Einwohner von den Landesherren abhängig waren, davon dass diese ihnen Geleit gewährten und sie gegen die oft sehr kritisch eingestellte christliche Bevölkerung in Schutz nahmen. Immer wieder kam es in den Städten zu religiös aufgeladenen Protesten - und zu Vertreibungen aus dem gesamten Land. Und ebenso finden wir immer wieder Zeugnisse der Rückkehr und Wiederansiedlung.

Seit dem Dreißigjährigen Krieg veränderte sich die Situation – Vertreibungen endeten und nachdem die Lippischen Grafen Detmold als Residenz gewählt hatten, entwickelte sich die Stadt zum Zentrum jüdischen Lebens. Etwa 20 jüdische Familien wohnten nun in der Stadt. Wirtschaftliches, gesellschaftliches und religiöses Leben konnte sich entfalten. Ein erstes Bethaus entstand 1633 und hat sich bis heute erhalten: Die lange vergessene Hofsynagoge an der Bruchmauerstraße ist die älteste Synagoge in ganz Nordwestdeutschland. Auch das später als Synagoge genutzte Gebäude an der Exterstraße ist noch vorhanden.

Die Blüte des jüdischen Gemeindelebens aber war Anfang des 20. Jahrhunderts, als an dieser Stelle eine neue Synagoge gebaut wurde. Das 1907 feierlich eingeweihte Gemeindezentrum bot Platz für 250 Menschen. Die Synagoge mit ihrer hohen Kuppel war weithin sichtbar. Unweit von Theater und Schloss war sie ein Symbol der Ebenbürtigkeit. Die Gemeinde verstand sich als Teil einer lebendigen Stadtkultur und repräsentierte dies mit dem stolzen Gebäude auch nach außen.
Das was sich Leopold Zunz und viele andere im Jahrhundert zuvor erträumt hatten, schien Wirklichkeit geworden zu sein. In diesem Gebäude manifestierte sich auch architektonisch die Akzeptanz jüdischer Kultur und Religiosität in der Mitte der Gesellschaft.
Die Blütezeit der jüdischen Gemeinde endete schon wenig später. Demütigungen nahmen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg immens zu, als rechte Strömungen an Boden gewannen. Erste Demolierungen trafen die Synagoge 1920. Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung wurden mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten dann zum Staatsprogramm.
Schon nach wenigen Monaten gab es ein erstes Todesopfer zu beklagen: Der Journalist Felix Fechenbach wurde am 7. August 1933 ermordet, weil er Jude war – und weil er als entschiedener Verfechter der Demokratie die Angriffe auf die Weimarer Republik abzuwehren versucht hatte. Ein scharfer Kritiker des NS-Regimes war mundtot gemacht worden.

Fünf Jahre später brannten in ganz Deutschland die Synagogen. In Detmold koordinierte der NSDAP-Kreisleiter die Aktion, SA- und SS-Leute drangen in das Gebäude ein und zerstörten die Einrichtung, bevor die Synagoge in Flammen aufging. Der Bürgermeister, sein Stellvertreter und bekannte NSDAP-Mitglieder schauten zu. Die Feuerwehr rückte aus, um ein Überspringen der Flammen zu verhindern. Gelöscht hat sie nicht.
Die Bevölkerung schwieg, als in jener Nacht die Synagoge in Flammen stand. Sie schwieg auch, als in der Stadt die Geschäfte geplündert wurden. Sie schwieg, als jüdische Männer gefangen genommen und in das KZ Buchenwald gebracht wurden. In dieser Nacht war ein Damm gebrochen. Heute wissen wir, dass der 9. November den Weg in den Völkermord, in die Shoah, geebnet hat.
Drei Jahre später rollten die Deportationszüge. Im Dezember 1941, vor fast genau 80 Jahren, brachte der erste Zug Detmolder Juden in das Getto im lettischen Riga. Im Januar 1942 wurde auf der Wannseekonferenz die systematische Ermordung der europäischen Juden organisiert. Der lippische Reichsstatthalter und Gauleiter Dr. Alfred Meyer war maßgeblich daran beteiligt. Ein weiterer Deportationszug führte im Frühjahr 1942 ins Warschauer Ghetto, das später von dem Detmolder SS-Führer Jürgen Stroop brutal niedergebrannt wurde. Weitere Deportationszüge gingen nach Theresienstadt und auch direkt ins Vernichtungslager Ausschwitz. Und schließlich – schon im Angesicht der drohenden Niederlage – wurden Menschen aus Detmold für lebensgefährliche Zwangsarbeit nahe unserer heutigen Partnerstadt Zeitz eingesetzt.
Zwischen 1933 und 1945 wurden mindestens 213 Menschen umgebracht, die in Detmold geboren worden sind oder die hier eine Zeit gelebt haben. Nicht nur Juden, - jeder, der nicht in die sogenannte Volksgemeinschaft einzupassen war, war gefährdet. Zahlreiche Frauen, Männer und Kinder waren zur Flucht gezwungen oder überstanden die NS-Zeit nur verletzt an Seele und Körper.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist eine jüdische Kultur ausgelöscht worden, die einst die Stadt so bereichert hat; es sind Werte und Werthaltungen diskreditiert worden, um die wir auch heute immer wieder ringen: Der kluge und auch witzige Journalist Felix Fechenbach steht für kritischen Journalismus und gegen Extremismus. Die Gläubigen im ersten jüdischen Bethaus an der Bruchmauerstraße stehen für religiöse Vielfalt in der Krisenzeit des Dreißigjährigen Krieges, der Gelehrte Leopold Zunz steht für den Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse und gesellschaftliche Toleranz. Ihr Denken und Handeln sind nicht nur Teil vergangener Jahrhunderte. Die Geschichte der Juden in Detmold ist – wenn wir sie ernst nehmen – eine sehr gegenwärtige.

300 Jahre jüdisches Leben in Detmold wurde ausgelöscht. Als in den 1990er Jahren geflohene Mitglieder der jüdischen Gemeinde diesen Ort wieder besuchten, kritisierten sie, dass eine kleine unscheinbare Wandtafel nicht ausreicht, um an die Ausgrenzung, Ermordung und Zerstörung zu erinnern. Erst dann wurde dieser Gedenkstein geschaffen, der nicht verschweigt und verklärt, sondern die Taten vom 9. November beim Namen nennt. Mit seinen sechs Bohrungen erinnert der Stein an die 6 Millionen Juden, die von Deutschen und ihren Helfern ermordet wurden. Und er innert an den tiefen Riss, der durch die Geschichte der Juden in Deutschland und auch in Detmold geht.

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland ist ohne diesen tiefen Riss nicht zu denken.

 

 

 

 

Neues Heft der „Lippischen Kulturlandschaften“ erschienen

„Koloniale Spuren in Detmold. Ein Stadtrundgang“ behandelt aktuelle Fragen zur kolonialen Vergangenheit der Stadt

 Die Koloniale Vergangenheit Deutschlands ist ein historisches Thema, dessen Nachwirkungen erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, dies aber nun mit großer Aufmerksamkeit. Die Autorinnen haben die aktuellen Diskussionen zum Anlass genommen, nach Spuren in der Detmolder Stadtgeschichte zu suchen. Die Ergebnisse sind nun im neuen Heft der „Lippischen Kulturlandschaften“, herausgegeben vom Lippischen Heimatbund, veröffentlicht worden. Federführend für das Heft ist das Stadtarchiv Detmold.

 Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink und die Kulturwissenschaftlerin Dr. Barbara Frey stellen in dem Heft 15 Stationen vor, die Detmolds Geschichte mit der kolonialen Vergangenheit verbinden. Der Rundgang startet am Kaiser-Wilhelm-Platz und führt entlang des Lippischen Landesmuseums, Theaters und Schloss weiter zur Bruchstraße, wo sich bis in die 1950er Jahre einer der zahlreichen Kolonialwarenläden befand. In der Langen Straße wurde Tabak aus Kuba und Sumatra verarbeitet und in der Martin-Luther-Kirche erinnert eine Gedenktafel an einen Matrosen, der bei der Eroberung der ersten deutschen Kolonie sein Leben ließ. Weitere Stationen finden sich an der Hornschen Straße: Dort druckte die Firma Klingenberg exotische Werbebilder. Die Lippische Landesbibliothek zeugt bis heute von dem ungeheuren Wohlstand, der im Kolonialhandel erworben werden konnte. Der Rundgang endet an der Neustadt.

 Das Heft kann beim Lippischen Heimatbund für 4 Euro erworben werden. Bildungseinrichtungen, Schülerinnen und Schüler erhalten das Heft kostenlos beim Stadtarchiv Detmold: stadtarchiv@detmold.de

Informationen: Dr. Bärbel Sunderbrink, 0521/766-110 oder stadtarchiv@detmold.de

 

Zum Hintergrund: Koloniale Spuren in Detmold?

In Detmold vermutet man nicht unbedingt Bezüge zur Kolonialgeschichte, lag die Stadt doch abseits der großen Handels- und Hafenstädte. Doch bereits vor Beginn der deutschen Kolonialzeit 1884 waren Menschen aus der Region in Übersee tätig, z. B. bei der Niederländischen Ostindien-Kompagnie oder über Bremer und Hamburger Kaufmannshäuser. Missionare aus dem Lippischen trugen ihre Vorstellungen von christlicher Zivilisation in die Welt. Soldaten nahmen an kolonialen Eroberungen teil; Reisende, Diplomaten und Auswanderer schrieben von ihren Erfahrungen in Briefen an die Daheimgebliebenen; in außereuropäischen Erdteilen gesammelte Gegenstände wurden dem Museum übergeben. Die Berichte, Fotos und Objekte, die die Ferne nach Detmold zurückspiegelten, prägten das Weltbild der Detmolder Bevölkerung. Gleichzeitig boten Kolonialwarenläden Produkte aus Übersee an, und Kolonialvereine warben mit Vorträgen und Festen für die „koloniale Sache“. Die Geschichte des Kolonialismus ist eine Geschichte von globalen Verflechtungen. Daher kann auch Detmolder Stadtgeschichte als Teil von globaler Geschichte erzählt werden.

Detmolder Bürgerinnen und Bürger, die zeitweise in Übersee beruflich beschäftigt oder deren Biografien auf die eine oder andere Weise mit vorkolonialen, kolonialen oder kolonialrevisionistischen Ereignissen verknüpft waren, hinterließen zum Teil bis heute sichtbare Spuren im Stadtbild. Diese, aber auch unsichtbare Spuren, stellen wir mit dieser Publikation bzw. dem Rundgang vor. Wir möchten damit den bekannten stadtgeschichtlichen Narrativen eine weitere Perspektive hinzufügen und dazu einladen, Aspekte der Kolonialgeschichte im Kontext Detmolder Stadtgeschichte zu erkunden.

Veröffentlichung zur Villa „Glückauf“ erschienen

In der Gründerzeit veränderte sich die Stadt Detmold stark. Neue Stadtviertel wurden erschlossen, repräsentative Gebäude entstanden. Eine der in dieser Zeit erbauten Villen hat Wilhelm Nolte, Berlin, erforscht und dazu ein Buch veröffentlicht. Intensiv hat er sich mit dem Blick eines historischen Spurensuchers mit der Baugeschichte der Villa „Glückauf“ auseinandergesetzt, die 1873 an der Palaisstraße errichtet wurde. Er geht der Besitzerfolge nach und hat anhand der Einwohnermeldeunterlagen, die im Stadtarchiv Detmold verwahrt werden, 180 Bewohner:innen ausfindig gemacht.

Seine Erkenntnis: Keineswegs haben dort nur „Feine Leute“ gelebt, sondern viel mehr „Kleine Leute“, nicht nur Bedienstete wie die häufig wechselnden Hausmädchen, sondern vor allem viele Angestellte. Ein Nachlass der Familie von Schilgen, der im Stadtarchiv verwahrt wird, zeugt von den Situation in der NS-Zeit, Amtsunterlagen belegen die aktive Rolle der Anna von Schilgen, die sich nach 1945 als CDU-Politikerin besonders für Flüchtlinge und Vertriebene einsetzte. Nach dem Verkauf des Anwesens gingen Teile der Villa in den 1950er Jahren im Neubau der St. Elisabeth-Stiftung auf.

Das Buch, dessen Entstehung das Stadtarchiv durch Beratung und zahlreiche Quellen unterstützt hat, belegt, wie soziales Leben und Geschichte eines Gebäudes miteinander verwoben sind.  

 

 

Detmolder Notfallverbund gut aufgestellt

 

Der Detmolder Notfallverbund, ein Zusammenschluss von den Detmolder Einrichtungen, die wertvolles Bibliotheks-, Archiv- und Sammlungsgut verwahren, verfügt über eine eigene Notfallausrüstung. Sie wird in acht Containern auf dem Baubetriebshof der Stadt Detmold verwahrt.

Dr. Christine Rühling (Lippisches Landesmuseum), Katja Wiebe (Archiv der Lippischen Landeskirche) und Dr. Bärbel Sunderbrink (Stadtarchiv Detmold) haben die Rollcontainer einer Revision unterzogen und fehlendes Material nachgefüllt. Die Container stehen nun wieder für die Mitglieder des Notfallverbundes bereit.

In einem Notfall, etwa bei einem Wasserschaden, würden sie von der Feuerwehr zur Einsatzstelle gebracht. Eine regelmäßige Kontrolle der Container ist den Mitgliedern des Notfallverbundes wichtig. Im Schadensfall muss ein Einsatz vor Ort schnell vorbereitet werden können.  

 

 

 

Neue Ausgabe vom "Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte“

Im Juli 2021 ist die Nr. 25 der online-Zeitschrift „Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte“ erschienen (www.rosenland-lippe.de). Zwei Beiträge greifen die Wirkungen von Kriegen auf.

Andreas Ruppert begleitet August Otto aus Hedderhagen auf seinem Weg im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, der vor 150 Jahren mit der Rückkehr auf den elterlichen Hof endete.

Joachim Kleinmanns beschreibt die Kriegsschäden, die Luftangriffe auf Detmold im Zweiten Weltkrieg angerichtet hatten.

Jürgen Scheffler erinnert mit dem aus Lemgo stammenden Volkhard Brandes an einen Mann, der sich zeitlebens um ein anderes Leben und eine andere Politik bemüht und gezeigt hat, dass beide möglich sind.

Jürgen Hartmann analysiert am Beispiel der Bezirksstelle Westfalen in Bielefeld, wie die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland von den NS-Machthabern für den Ablauf ihrer Vernichtungspolitik eingespannt wurde.

Mehrere Buchbesprechungen runden die „Jubiläumsausgabe“ ab.

Zur PDF-Ausgabe: "Rosenland Nr. 25"

 

 

 

Einweihung des Erinnerungsorts zum Gedenken an die Opfer der Hexenverfolgung am 19.6.2021

Einweihung der Gedenkstele in der Anna-Maria Tintelnot-Twete.
Foto: Thomas Krügler

von Dr. Bärbel Sunderbrink

Die Stadt Detmold hat einen neuen Erinnerungsort! In der Anna-Maria Tintelnot-Twete ist durch die Initiative Detmolder Bürgerinnen und Bürger ein Ort entstanden, der an Verfolgung und gewaltsamen Tod von Menschen erinnert, die der Hexerei verdächtigt wurden. Nachbarinnen und Nachbarn, Freundinnen und Verwandte, manchmal sogar die eigenen Eltern fielen der Denunziation anheim, gerieten in die Mühlen der Justiz und überlebten dies häufig nicht.

Was geschah, liegt fern unserer heutigen Vorstellungswelt – und doch ist es den Mitglieder des Arbeitskreises Hexenverfolgung im Heimatbund Lippe ein wichtiges Anliegen, an dieses Schicksal zu erinnern. Die Frage, wie ein Erinnerungsort gestaltet wird, ist immer mit Diskussionen verbunden: Sollen die Opfer im Vordergrund stehen, geht es vor allem um eine Botschaft an die Gegenwärtigen und die zukünftigen Generationen? Im Denkmalkonzept, das nun verwirklicht wurde, ist beides verbunden. Der erste und nach den Erfahrungen der NS-Zeit wichtigste Paragraphe des Grundgesetzes ist in den Mittelpunkt gestellt: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Die Würde jedes einzelnen!

Und auf diese einzelnen verweist der Text im unteren Teil der Gedenkstele. Er benennt Gruppen von Verfolgten und Umgekommenen. Aber wie kann man sich jenen fernen Opferschicksalen heute überhaupt noch nähern? Wie kann man sie sichtbar und begreifbar machen? Die Quellenlage ist schwierig. Es gibt keine Tagebücher, Biografien von Angehörigen oder auch nur Briefe der betroffenen Frauen, Männer und Kinder. Das einzige, was das Schicksal jener Menschen dokumentiert, sind Gerichtsakten. Also jene Akten, die von den Peinigern verfasst wurden.

Die Situation in Detmold ist komplex. Wo geurteilt wurde, war abhängig davon, wo das landesherrliche Kriminalgericht tagte. Hingerichtet wurden Detmolder nachweislich nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch in Horn. Der erste Hinweis auf Ermittlungen gegen eine Frau aus dem heutigen Detmolder Stadtgebiet, Frau Steins vermutlich aus Hornoldendorf, ist für 1583 zu finden. Welches Schicksal sie erlitten hat, wissen wir nicht. Auf der Denkmalstafel werden fünf Personen stellvertretend genannt, deren Schicksal man etwas besser aus den Akten fassen kann:

Belegt sind für Detmold mindestens 31 Menschen, die verfolgt wurden, vermutlich 19 sind hingerichtet worden, eine Person verübte Selbstmord. Zwei der Opfer sind Anna Maria Titelnot und Johann Mauritz: Johann Mauritz wurde in Detmold 1661 lebendig verbrannt. Anna Maria Titelnot hingegen gelang es, die Stadt zu verlassen. Die Prozessunterlagen belegen einen langen Verfolgungsweg. Das Leben der Bäckersfrau und ihrer Familie war trotz Überlebens zerstört.

Belegt für die eingemeindeten Ortschaften sind 24 Verdachtsfälle, acht Personen wurden hingerichtet, eine fast 100-Jährige starb im Gefängnis. Stellvertretend für die Landgemeinden werden genannt: Anna Plogstert, die Ehefrau eines Dietrich Tegeler aus Mosebeck, hingerichtet 1659 und zwei Jahre später Johann Kaup gen. Jürgens aus Orbke. Der Mann war alt, wie aus seinem Namenszusatz ersichtlich ist.

Besonders berührend ist das Schicksal von 50 Mädchen und Jungen aus ganz Lippe, die als Hexenkinder oder auch „Zauberkinder“ gefangen gehalten wurden. Für sie steht Hans Hermann Bracht aus Diestelbruch. Er wurde im Alter von 10 Jahren angeklagt, viel später dann wurde er enthauptet und verbrannt. Diese letzte Hinrichtung fand im Jahre 1676 statt und damit fast 100 Jahre nach den ersten Verfolgungen.

In Detmold genießt die Erinnerungskultur eine hohe Wertschätzung. Gedenkorte, die wahrgenommen werden, dienen nicht nur der Erinnerung, sie werden zu Reibungspunkten und Diskussionsobjekten um die Bedeutung der Vergangenheit für unsere Gegenwart und Zukunft. Dieses Denkmal, das an die Verfolgung von Menschen in der Frühen Neuzeit erinnert, wird diese Gedenkkultur bereichern.

 

 

Zum Gedenken eines Überlebenden aus Detmold

Fritz Herzberg, 1938 (Foto: Sammlung Joanne Herzberg)

Fred Herzbergs Geburtstag jährt sich in diesem Jahr zum einhundertsten Mal

Gudrun Mitschke-Buchholz

Am 11. Juni 1921 wurde Fritz Herzberg in Detmold geboren. Zwei Jahre zuvor hatten seine Eltern Moritz und Johanna ein Konfektionswarengeschäft in der Langen Straße 71 übernommen. Hier wohnte bis 1931 die Familie zusammen mit Johannas Mutter Emilie Frank und Moritz Schwester Selma, die zeitweilig Fritz und auch dessen ein Jahr später geborene Schwester Gerda versorgte. Die Herzbergs gehörten zur jüdischen Gemeinde Detmold, in deren Vorstand sich Moritz Herzberg engagierte.

 

Mit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 setzten auch für Fritz und seine Familie Ausgrenzung, Anfeindungen und Diffamierungen ein, an dessen Ende der Völkermord an den Juden stand. Für Fritz wurde der Schulbesuch in der Oberrealschule durch gewalttätige Übergriffe seiner Mitschüler so unerträglich, dass er vorzeitig die Schule verlassen wollte, was jedoch sein Vater zu verhindern wusste. 1937 begann Fritz Herzberg in Hannover eine Lehre als Klempner, die er allerdings nicht beenden konnte. Auch für seine Eltern bedeutete der Novemberpogrom 1938 nicht nur das Ende ihres Betriebes und damit den Verlust der wirtschaftlichen Existenz. Moritz Herzberg wurde in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, wo er vier Wochen später als alter und gebrochener Mann entlassen wurde.

Mit dem Wissen, das es nun ums Überleben ging, betrieben auch die Herzbergs verzweifelt ihre Flucht aus Deutschland. Fritz erhielt durch familiäre Verbindungen die Chance, mit einem der Kindertransporte nach England zu gelangen, obwohl er eigentlich schon zu alt dafür war. Er verließ Detmold im Februar 1939 mit dem uneinlösbaren Auftrag, nicht nur sich, sondern auch seine Familie zu retten. Als sich ihm in England keine Möglichkeiten boten, seine Angehörigen zu unterstützen oder gar nachzuholen, reiste er weiter nach Nord-Rhodesien, dem heutigen Sambia, und versuchte von dort verzweifelt und vergeblich seine Mission zu erfüllen. Zahlreiche Auswanderungsversuche der in Detmold gebliebenen Familie scheiterten.

Als im Oktober 1941 das generelle Auswanderungsverbot für Juden erlassen wurde, saßen auch die Herzbergs in der Falle. Lange Monate ohne jeden Kontakt zu seiner Familie, versetzten Fritz, der sich nun schon länger Fred nannte, in höchste Angst um seine Angehörigen. Im Juli 1942 erreichte ihn ein Brief über das Rote Kreuz, in dem ihm sein Vater in den nur 25 erlaubten Worten mitteilte, dass ihr „Wohnsitz“ nun wahrscheinlich nach Theresienstadt verlegt würde.

Erst im Oktober 1945 erfuhr Fred Herzberg das volle Ausmaß dieser Katastrophe, die sein Leben zerriss und zutiefst beschädigte. Sein Vater und seine Großmutter waren in Theresienstadt umgekommen, seine Mutter und seine Schwester Gerda waren in Auschwitz ermordet worden. Insgesamt vierzehn Mitglieder der einst großen Familie Herzberg wurden Opfer des Völkermordes. Fred Herzberg kämpfte Zeit seines Lebens mit dem Gefühl versagt zu haben, da er seine Familie nicht zu retten vermochte und selbst überlebt zu haben. Sein gesamtes weiteres Leben war durchdrungen von dieser „Überlebensschuld“ und von den unwiederbringlichen Verlusten, für die es keinen Trost gab.

1947 wanderte Fred Herzberg zu seinem Onkel und seiner Tante in die USA aus. In St. Louis, Missouri arbeitete er in dessen Schmuckgroßhandel, den er später übernahm. 1950 heiratete er Lotti Jacobsthal, die ebenfalls Überlebende war. 1956 wurde ihr Sohn Michael geboren. Nach Lottis frühem Tod, heiratete Fred ein zweites Mal, wiederum ein ehemalige Deutsche. Lore Müller kam ursprünglich aus Hamburg. 1961 kam ihre Tochter Joanne zur Welt. Über die leidvolle Vergangenheit und seine traumatischen Verluste sprach Fred Herzberg nur äußerst selten, so dass seine Kinder kaum etwas über ihren Vater und auch über ihre Vorfahren wussten. Ein beharrliches und hoch wirkmächtiges Schweigen lastete über ihrem Leben.

Fred Herzberg, St. Louis, 2007 (Foto: Sammlung Joanne Herzberg)

Am 31. Januar 2008 starb Fred Herzberg schwer herzkrank in St. Louis. Sein Versprechen, nie wieder deutschen Boden zu betreten, hatte er stets eingehalten. Erst als seine sorgsam aufbewahrten Briefe und Postkarten seiner Familie aus den Jahren 1939 bis 1946 ausgewertet und auch in dem Band „Lebenslängliche Reise“[1] im Jahr 2013 publiziert wurden, eröffnete sich ein Blick auf dieses Leben und das gewaltsame Ende und ermöglichte damit auch einen vertieften Zugang zu Fred Herzberg und dessen Schicksal.

Seine Tochter Joanne verließ vor wenigen Jahren die USA, wählte Detmold als ihren Wohnort und nahm damit die abgerissenen Wurzeln ihrer Familie wieder auf. Im Jahr 2020 wurden aufgrund ihrer Initiative Stolpersteine für ihre Familie in ehrendem Gedenken verlegt. Schon seit langem wird der Familie Herzberg und Emilie Frank auch auf der Gedenktafel an der alten Synagoge und im Detmolder Gedenkbuch gedacht. Die nachgelassenen Briefe ihrer Angehörigen übergab Joanne Herzberg dem Stadtarchiv Detmold.


[1] Gudrun Mitschke-Buchholz: Lebenslängliche Reise. Briefe der jüdischen Familie Herzberg aus Detmold 1939 -1946. Bielefeld 2013

 

Detmolder Gedenkbuch: 21 weitere Beiträge über Opfer der NS-Herrschaft

 Gudrun Mitschke-Buchholz: Das Detmolder Gedenkbuch (www.gedenkbuch-detmold.de) befindet sich durch beständige Forschung und durch die erheblich veränderte Quellenlage in einem steten Prozess der Veränderung und Vertiefung.

 Es konnten nun wiederum 21 Beiträge zu bislang nicht genannten Betroffenen veröffentlicht werden. Es handelt sich um Menschen, die mit Detmold verbunden waren, weil sie hier geboren wurden und viele die Stadt als ihre Heimat verstanden, oder weil sie für eine Zeitlang hier lebten und so zu einem Teil der städtischen Gesellschaft wurden. Sie alle haben das sog. Dritte Reich nicht überlebt. Sie erlitten Ausgrenzung, Verfolgung und einen gewaltsamen Tod. Ihre Lebenswege als Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt werden auch durch Dokumente aus dem Stadtarchiv Detmold und dem Landesarchiv NRW Abt. OWL eindrücklich belegt.

 Unterlagen aus nationalen und internationalen Gedenkstätten und Archiven, insbesondere aus den Arolsen Archives, dokumentieren, wie diese Menschen in den Tod hinein verwaltet wurden. Die Erforschung und Dokumentation dieser Lebenswege ist nicht nur für die städtische Erinnerungskultur von großer Bedeutung. Weitere 21 Menschen, ihre Lebenswelten und auch ihr Ende sind nun Teil der öffentlichen Erinnerung.

"Frauenpolitischer Rundgang" zum Int. Frauentag

Quelle: Stadtarchiv, DT BA Nr. 714: Wäscherinnen am Wallgraben um 1910. (Foto: Pecher)
Quelle: Stadtarchiv, DT BA Nr. 714: Wäscherinnen am Wallgraben um 1910. (Foto: Pecher)

Weiblich – systemrelevant – un(ter)bezahlt

Frauenpolitischer Stadtrundgang zum Internationalen Frauentag – verschoben auf den 13. August

Wer war Malwida von Meysenbug? Warum galt der Beruf der Diakonisse seinerzeit als eine sehr gute Wahl für Frauen? Wo gründete Fürstin Pauline 1802 die erste „Kinderbewahranstalt“ und welche Bedeutung hatte die Schule am Wall für die höhere Mädchenbildung in Detmold? Interessante Antworten auf diese und andere Fragen gibt der frauenpolitische Stadtrundgang unter dem Motto „Weiblich – systemrelevant – un(ter)bezahlt“, der ursprünglich für den Internationalen Frauentag am 8. März in der Detmolder Innenstadt geplant war. Nun findet der 2-stündige Spaziergang am 13. August statt. An sieben Stationen werden historisch-politische Frauenthemen mit regionalem Bezug aufgegriffen, die Waschfrauen, Schriftstellerinnen und Politikerinnen aus dem historischen Detmold lebendig werden lassen. Unter der Wehme treffen Sie auf Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink. 

Veranstaltet wird der Stadtrundgang von den Gleichstellungsstellen des Kreises Lippe, der  VHS Detmold-Lemgo, dem DGB-Kreisfrauenausschuss und der ver.di Regionsfrauengruppe Lippe. Die Anmeldung läuft ab 8. März über die VHS Detmold-Lemgo.

Coronabedingt können dieses Jahr nicht viele Aktivitäten zum Internationalen Frauentag stattfinden. Eine Auswahl der dennoch stattfindenden Aktionen in der Region sind auf der Website des DGB Ostwestfalen-Lippe zu finden.

20 Jahre Stadtarchiv Detmold – 20 Jahre Archiv-WG

Als mit Dr. Andreas Ruppert vor 20 Jahren der erste hauptamtliche Archivar der Stadt Detmold eingestellt wurde, begann eine neue Ära der stadtgeschichtlichen Überlieferung. Das NRW-Staatsarchiv Detmold, dann Landesarchiv NRW Abt. Ostwestfalen-Lippe, hatte schon Unterlagen der Stadt Detmold gesichert, bevor 1971 ein formaler Depositalvertrag abgeschlossen wurde. In dem Vertrag wurde festgehalten, dass sich das vom Land NRW getragene Staatsarchiv um die historische Überlieferung der Stadt kümmert.

Mit einem neuen Gesetz wurden die Städte 1989 dazu verpflichtet, sich ihrer historischen Überlieferung anzunehmen und eigene Archive einzurichten. In Detmold sollte es weitere zehn Jahre dauern, ehe im Dezember 2000 das Stadtarchiv Detmold gegründet wurde. Einen Monat später folgte das Kreisarchiv Lippe. Seitdem findet man an der Willi-Hofmann-Straße 2 nicht nur die Überlieferung der Stadt, des Kreises und des ehemaligen Landes Lippe, des einstigen Regierungsbezirks Minden sowie der aktuellen Landesbehörden in OWL, sondern fachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen drei Archiven.

Literatur: Andreas Ruppert, Detmold – Das Stadtarchiv im Staatsarchiv, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 64 (2006), S. 42f.

Detmold – die Stadt der drei Synagogen

Ehemaliges Bethaus, Bruchmauerstraße 37 im Jahr 2020. (Foto: Volker Buchholz)
Ehemaliges Bethaus, Bruchmauerstraße 37 im Jahr 2020. (Foto: Volker Buchholz)

Ein Beitrag zum Festjahr 2021 – 1700 JAHRE JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND

von Gudrun Mitschke-Buchholz

In diesem Jahr wird die lange Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland als wichtiger Bestandteil der europäischen Kultur durch ein Festjahr gewürdigt. Seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Das erste schriftliche Zeugnis jüdischer Kultur stammt aus dem Jahr 321 und damit bereits aus der Zeit der Spätantike. Unter dem Namen #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland werden bundesweit rund tausend Veranstaltungen wie Konzerte, Ausstellungen, Musik, Podcast, Theater und Filme ausgerichtet. Ziel dieses Festjahres ist laut der Initiatoren, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus entgegenzutreten.

Auch in Detmold lassen sich noch Spuren und Zeugnisse der weitestgehend zerstörten jüdischen Lebenswelt finden. Bemerkenswerterweise fanden sich in der Kleinstadt Detmold neben einem privaten Betraum drei jüdische Gotteshäuser, von denen heute noch zwei erhalten sind. An die im Jahr 1907 eingeweihte und während der Ausschreitungen des Novemberpogroms 1938 zerstörte Neue Synagoge erinnert nur noch eine Gedenktafel in der Lortzingstraße. Die erhaltene Alte Synagoge , Exterstraße 8, dient heute einer Freikirche als Gotteshaus. Das benachbarte „Vorsängerhaus“ zur Externstraße dokumentiert seine wechselvolle Geschichte durch seine hebräische Inschrift.

Lange Zeit unbeachtet war hingegen das Bethaus in der Bruchmauerstraße 37. Das unscheinbare und bereits deutlich vom Verfall gezeichnete Gebäude war lange vergessen und in seiner bau- und auch stadtgeschichtlichen Bedeutung vollkommen unterschätzt und verkannt. Was noch 1988 als Gartenhaus in die Denkmalliste der Stadt Detmold aufgenommen wurde, ist eine freistehende Hofsynagoge. Dies konnte durch die Forschungen der LWL-Denkmalpflege und durch die Auswertung archivalischer Quellen im Stadtarchiv Detmold und Landesarchiv NRW nachgewiesen werden. Dieses Bethaus gilt demnach als frühester Beleg für den Typ einer freistehenden Synagoge in Nordwestdeutschland. Durch dendrochronologische Untersuchungen der verbauten Hölzer konnte die Errichtung des Kerngerüstes auf 1633 datiert werden und damit weitaus früher als bis dahin angenommen. Das Gebäude wurde somit zu einem Zeitpunkt errichtet, als sich einige jüdische Familien nach der Vertreibung der Juden im Jahre 1614 aus der Grafschaft Lippe wieder in Detmold niedergelassen hatten und auch wieder Gottesdienste abhalten wollten.

Wie für frühneuzeitliche Synagogen charakteristisch, liegt des Detmolder Bethauses etwas versteckt im Hof hinter dem ehemaligen Spangenbergschen Haus, Krumme Straße 28. Es weist eine nur sehr kleine Grundfläche von 34,5 m² auf und war, den religiösen Vorschriften gemäß, nach Osten ausgerichtet. An der Ostwand befand sich eine Vorrichtung für die Aufbewahrung der Thorarollen. Die religiösen Regeln besagen ebenso, dass aus der Richtung Jerusalems Tageslicht einfallen muss, und auch dies war hier durch eine entsprechende Fensteröffnung gegeben. Der Betsaal war im Erdgeschoss und umfasste die gesamte Grundfläche des Hauses. Der Standort der Bima, also des Vorlesepultes, befand sich vor dem Thoraschrein im Mittelteil des Betraumes. Rekonstruieren ließ sich zudem eine Frauenempore mit zwei hintereinander stehenden Bänken für jeweils fünf bis sechs Frauen.

Die Judenschaft hatte nachweislich 1723 das Gebäude vom Stadtmusikanten Julius Hardewig Spangenberg nur angemietet. Das war nicht ungewöhnlich, da es Juden bis in das 18. Jahrhundert nicht erlaubt war, Immobilien zu besitzen. Möglicherweise bedingt durch die räumliche Enge und auch durch die ungesicherten Mietverhältnisse, schuf sich 1742 die Detmolder jüdische Gemeinde durch den Umbau einer Scheune eine neue Synagoge in der Exterstraße 8 (Alte Synagoge), die zu kaufen ihnen durch Genehmigung vom Stadtrat und vom Landesherrn Simon August erlaubt war.Dem 2010 durch den Eigentümer des nur vermeintlichen Gartenhauses gestellten Antrag auf Abbruch zugunsten der Errichtung von Parkplätzen wurde aufgrund der Forschungen nicht stattgegeben.

Der Denkmalwert des auch überregional bedeutsamen Bethauses wurde durch die Behörden eindeutig begründet. Zwingend notwendige weitere wissenschaftliche Untersuchungen könnten die Erkenntnisse zu dem Bethaus in Detmold weiter vertiefen. Es gilt weiterhin, dieses Kleinod mit großer historischer Bedeutung vor dem endgültigen Verfall zu retten.

Weitere Informationen finden sich in:

Fred Kaspar und Peter Barthold: Ein Gebäude macht Geschichte. Das vergessene jüdische Bethaus von 1633 in Detmold, Bruchmauerstraße 37. In: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, 86 (2017), S. 155-172

sowie in

Gudrun Mitschke-Buchholz: Auf jüdischen Spuren. Ein Stadtrundgang durch Detmold. 3. Aufl. – Lage 2020, S. 47-49. Hier findet sich nicht nur ein Kapitel zum Bethaus, sondern Informationen zu mehr als zwanzig weiteren Orten jüdischer Tradition und Kultur in Detmold. Diese Orte werden in den öffentlichen Stadtführungen „Auf jüdischen Spuren“ mit Gudrun Mitschke-Buchholz zwischen Mai und Oktober gezeigt.

 

 

 

Auf jüdischen Spuren

Ein Stadtrundgang durch Detmold
von Gudrun Mitschke-Buchholz
Panu Derech - Beiträge zur jüdischen Regionalgeschichte, Schriftenreihe der GCJZ Lippe, Bd. 21

Detmold 2020, 3. überarbeitete Auflage Auflage, 100 Seiten, ISBN 978-3-89918-080-0, 12,90 Euro

Über Jahrhunderte haben Jüdinnen und Juden das Leben und auch den Wandel der Stadt Detmold mitgeprägt und gestaltet. Wer sich heute auf jüdische Spuren begibt, hat jedoch Mühe, die steinernen Zeugnisse zu finden, die das reiche Kulturerbe vor Augen führen und dokumentieren könnten, denn der größte Teil dieser Lebenswelt wurde zerstört oder deren Spuren verwischt.
In dem nun erschienen Stadtrundgang, der auch durch das Stadtarchiv Detmold unterstützt wurde, werden Stätten der religiösen Kultur, Wohn- und Geschäftshäuser aus ehemals jüdischem Besitz und auch Spuren der Entrechtung und Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung gezeigt. Ebenso wird auf die Detmolder NS-Institutionen verwiesen, die für Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation der jüdischen Menschen verantwortlich waren. Eine beiliegende Karte erleichtert auch Ortsfremden die Orientierung. Das Buch liegt in einer dritten, vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage vor.
Der Band ist beim Verlag, bei der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe e. V., in den örtlichen Buchhandlungen und in der Tourist-Information der Stadt Detmold erhältlich.
 

27. Januar - Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus

Am 19. Januar 1996 hat Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar, den Jahrestag der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz, zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" erklärt. Roman Herzog wollte, dass die Erinnerung  an die Greueltaten des Nationalsozialismus nicht endet, sie soll auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen."Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer  über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jede Gefahr der Wiederholung entgegenwirken", so der damalige Bundespräsident in seiner historischen Rede vor dem deutschen Bundestag.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe e.V. initiierte auf Grund der Erklärung des Bundespräsidenten eine erste öffentliche Gedenkfeier am 27. Januar 1996, bei der der 25 Detmolder Opfer, die in Auschwitz ermordet wurden, namentliche gedacht wurde. Pastor Peter Wagner als Initiator dieser Gedenkfeier wandte sich im September 1996 an die Stadt Detmold mit der Bitte, sich doch an den  Vorbereitungen des Gedenktages 1997 zu beteiligen. Damit wurde der Grundstein für die Bildung einer Arbeitsgruppe gelegt, die seitdem die  Organisation und inhaltliche Gestaltung  des Gedenktages übernommen hat. 

Mit Vertreterinnen  und Vertretern aus den Bereichen Politik, der Verwaltung und ihrer Einrichtungen, der weiterführenden Schulen, sowie engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gesellschaft  für Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit, des nordrhein-westfälischen Staatsarchivs, des Landestheaters, des Landesmuseums  und des Filmarchivs Lippe werden Jahr für Jahr Ideen  und Vorschläge gesammelt und das Programm in enger Zusammenarbeit konzipiert. Insbesondere unter der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern der verschiedenen Jahrgangsstufen aller Schulformen, unter der Beteiligung von Lehrerinnen und Lehrern und der Eltern, wurden in den vergangenen Jahren aufwendige Programme erarbeitet.

Mit diversen Ausstellungen, Filmbeiträgen oder Theateraufführungen, aber auch mit Zeitzeugengesprächen, Autorenlesungen und unterschiedlichen Dokumentationen wird nicht nur direkt am 27. Januar, sondern in ganzen Veranstaltungsreihen an die zahllosen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert.  Durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit und gerade durch die besonders angesprochene Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler stehen neben dem Erinnern und dem Betroffensein auch das Nichtvergessen des Vergangenen und die Mahnung, einer möglichen Wiederholung entgegenzuwirken.

Link zum Youtube-Kanal der Realschule 1: Youtube-Link

Zentrale Gedenkveranstaltung 27. Januar 2021 Plakat

Zentrale Gedenkveranstaltung 27. Januar 2021 Flyer

Videobeiträge der Realschule I zum Thema „Unmenschlichkeit und Menschlichkeit damals und heute“.
Von Jugendlichen für Jugendliche. Erstausstrahlungen am 27. Januar 9:45 Uhr, abends zur Gedenkstunde um 18 Uhr. Ab dem 28.01.2021 dauerhaft online verfügbar über YouTube.

Anschrift

Stadtarchiv Detmold
Willi-Hofmann-Straße 2
32756 Detmold
stadtarchivdetmold.LOESCHE_DIES.de
Empfang: Tel. 05231 / 766-0 

Öffnungszeiten des Lesesaals

Mo 8:00-19:00 Uhr
Di, Mi, Do 8:00-16:00 Uhr
Fr 8:00-13:00 Uhr

Bestellung von Archivalien aus den Magazinen

Mo, Di, Mi, Do
9:00, 10:00, 11:00,
12:00, 13:30, 14:30 Uhr

Fr 9:00, 10:00, 11:00,
11:30 Uhr

Beratung

Beratung nach vorheriger Terminabsprache möglich.